Actionfilme amerikanischer Provenienz stehen bei der sogenannt seriösen Filmkritik nicht allzu hoch im Kurs, üblicherweise werden sie mit einem leicht pikierten Nasenrümpfen kurz nebenher abgehandelt. Doch alle paar Jahre beschenkt uns Hollywood mit einem Actionstreifen, der so aalglatt und durchgestylt ist, dessen dramaturgisches Räderwerk so nahtlos ineinander greift, dass auch der elitärste Filmsnob nicht anders kann, als sich daran zu erinnern, dass das Kino seinen Ursprung im Jahrmarkt-Spektakel hat. Die Hard, The Terminator und Speed waren solche Filme, bei denen den Kritikern angesichts der handwerklichen Perfektion gar nichts anderes übrig blieb, als unisono in Begeisterungsstürme auszubrechen. Der letzte Fall solcher kollektiver Begeisterung war The Matrix. Das Science Fiction-Abenteuer war buchstäblich aus dem Nichts aufgetaucht und hatte das Publikum im Sturm erobert; aus einem mit verhältnismässig bescheidenem Budget gedrehten Film war ein Riesenerfolg geworden, aus den Regisseuren, den bis dahin vollkommen unbekannten Gebrüdern Wachowski, Stars.
Gut drei Jahre später tobt nun die Fortsetzung des virtuellen Endzeitkampfs auf den hiesigen Leinwänden – Teil drei ist ebenfalls bereits abgedreht und wird im Winter zu sehen sein –, und wie immer bei Sequels, ist Skepsis angebracht. Denn die wirklich gelungenen Fortsetzungen der Filmgeschichte lassen sich an einer Hand abzählen. Die Aufgabe, dem Publikum das bewährte Gleiche und doch etwas spannendes Neues zu präsentieren, erweist sich allzu oft als tückisch. Immerhin: Bei Matrix Reloaded ist das Urteam wieder vollständig dabei; das beruhigt ein wenig, denn dass es den Wachowskis an Cleverness nicht mangelt, haben sie in der ersten Ausgabe ihres Science Fiction-Spektakels hinlänglich bewiesen.
Die Grundidee von Matrix war, dass die Welt nur eine computergenerierte Illusion ist, dass die Menschen in Wirklichkeit in Tanks dahinvegetieren, während tyrannische Maschinen ihnen eine künstliche Welt vorgaukeln. Nur ein kleiner Trupp Rebellen weiss um diesen gigantischen Betrug und hat den Kampf gegen den digitalen Gegner aufgenommen. Diese Idee ist zwar weder für Science Fiction-Leser noch für philosophisch Beschlagegene wirklich neu, faszinierend ist sie aber auf jeden Fall. Und die Regisseure verstanden es gekonnt, das Maximum aus ihrem Stoff herauszuholen, indem sie in einem Zitierfuror Bezüge zur halben westlichen Geistesgeschichte einbauten: Von Platons Höhlengleichnis, über den Descartschen Dämon und die Schopenhauersche Maya wurde alles in den Film verwurstelt; abgeschmeckt wurde der Brei mit biblischen Anspielungen, Buddhismus, französischem Dekonstruktivismus und noch einigen anderen wohlschmeckenden Ingredienzen.
Matrix ist ein philosophischer Selbstbedienungsladen, in dem sich für jeden Geschmack etwas Passendes findet. Die Geisteswissenschaften nahmen dieses Angebot dankend an und produzierten als Gegenleistung einen ganzen Schwall hochgescheiter Bücher zum Thema. Und so fieberten für einmal der computerspielebegeisterte Teenager und der Professor für Kulturwissenschaften gemeinsam der Fortsetzung entgegen.
Die grosse Frage am Anfang von Reloaded lautet: was nun? Es ist das altbekannte Problem mit dem viele Fortsetzungen zu kämpfen haben, denn Matrix war ursprünglich nicht als Trilogie angelegt, und das Ende des ersten Teils war denn auch ziemlich definitiv: Der Hacker Neo (Keanu Reeves) ist tatsächlich der digitale Messias, der den Abwehrprogrammen der Matrix, den Agenten, mit seinen Karatetritten das Fürchten lehrt. Zwar zeigte Matrix nicht, wie Neo alle Maschinen kurz und klein haut und die Matrix abschaltet, da er nun aber Superman war, schien das Ende absehbar. Für die Fortsetzung mussten also dringend neue, noch gefährlichere Gegner her, möglichst im Multipack mit einigen raffinierten Storytwists, und da die Crew des Rebellenschiffs Nebuchadnezzar, auf der sich ein grosser Teil der Handlung des ersten Teils abspielte, stark dezimiert wurde, brauchte es auch auf Freundesseite frisches Blut. Folglich steht am Anfang von Reloaded ein Besuch in Zion, der letzten freien Menschensiedlung in der Nähe des Erdkerns, von der im ersten Teil nur raunend die Rede war.
Die Szenen im letzten Bollwerk der Menschheit sind auch gleich der Tiefpunkt des Filmes. Ganz offensichtlich war man bemüht, die Geschichte zu erweitern und weitere Ebenen hinzuzufügen. Es gibt Zwischenmenschliches, wenn ein Crewmitglied mit seiner vernachlässigten Frau streitet, es gibt Intimes zwischen Neo und Trinity (Carrie-Anne Moss), und es gibt viel Politik, wenn Morpheus (Laurence Fishburne), Neos väterlicher Freund, mit Generälen und Senatoren schachert. Man mag noch verschmerzen, dass der Film hier plötzlich haufenweise Figuren präsentiert, die im ersten Teil nicht einmal erwähnt wurden; das ist gewissermassen fortsetzungsbedingt und deshalb verzeihbar. Schwerer wiegt, dass die Geschichte hier nur sehr zäh fliesst und man sich zu fragen beginnt, worauf Neo und Co. eigentlich warten. Denn was der erste Teil gekonnt zu überspielen wusste, war, dass die Hauptfiguren in Matrix erstaunlich passiv sind. Neo handelt nie von sich aus, er wartet immer, bis ihn Morpheus oder das Orakel auffordern, etwas zu tun, er agiert nicht, sondern fällt Entscheide, die an ihn herangetragen werden: rote oder blaue Pille, linke oder rechte Türe. Neo ist nicht wirklich eine eigenständig handelnde Figur, sondern funktioniert – nicht ganz zufällig – gemäss der Logik eines Märchenhelden.
Die Handlungsarmut fiel im ersten Teil nicht weiter auf, denn das Hauptgewicht lag hier auf der Erkundung einer neuen Welt; Neo und Zuschauer staunten gemeinsam über die Wunder der Matrix. Bei Reloaded herrschen da natürlich andere Voraussetzungen: Wir kennen die Matrix, das Geheimnisvolle ist weitgehend verschwunden, eine Handlung muss her. Und genau da bekundet der zweite Teil sichtlich Mühe. Es geht einfach zu lange, bis Neo vom Orakel den Auftrag erhält, den geheimnisvollen Keymaker zu befreien und mit dessen Hilfe der Matrix endgültig den Garaus zu machen.
Mit einer klar definierten Mission versehen, kann Neo dann aber aus seiner Passivität erwachen, und der Film darf endlich so richtig mit seinen Schauwerten auftrumpfen; der Erfolg des ersten Teils hing ja massgeblich mit der Gestaltung der Kampfszenen zusammen. Den Wachowskis war es gelungen, traditionelle asiatische Martial Arts mit modernster digitaler Effekttechnik zu kombinieren. Entstanden ist aus dieser Fusion eine vollkommen eigenständige, und in dieser Art nie zuvor gesehene Kampfästhetik. Es liegt auf der Hand, dass Reloaded in diesem Bereich nicht ähnlich bahnbrechend sein kann wie sein Vorgänger, diesen deutlich in den Schatten zu stellen, gelingt ihm aber auf jeden Fall. Besonders beeindruckend ist eine Szene in der Neo seine Nemesis Smith gleich dutzendfach bekämpfen muss. Den Höhepunkt bildet aber eine rund viertelstündige Hetzjagd über einen Highway, bei der die verschiedensten motorisierten Untersätze zu Schrott verwandelt werden und die alle bisherigen Verfolgungsjagden locker in den Schatten stellt.
So spektukulär diese Szenen sind, sie sind beide zu lang und wirken aller visueller Grandezza zum Trotz irgendwann einmal ermüdend. Ohnehin ist der Film unausgeglichen und entwickelt nur mühsam einen echten Ryhthmus. Nach dem trägen Auftakt in Zion kommt auf einmal die grosse Hektik auf: Neo muss den Keymaker befreien und ins Innerste der Matrix vordringen, Zion wird angegriffen, ein Verräter treibt sein Unwesen, und alle möglichen Figuren sehen sich auf einmal genötigt, längere Referate über Kausalität und freien Willen zu halten. Und was wir schon vermutet haben, scheint sich zu bestätigen: Neo, Der Auserwählte, ist so einzigartig doch nicht – sonst wäre ja auch kein neuer Film nötig gewesen –, und die Matrix hat noch längst nicht alle ihre Geheimnisse preisgegeben. Obwohl der Film im sehr viel flüssigeren zweiten Teil einiges gut machen kann, verlässt man das Kino am Ende einigermassen verwirrt; zu vieles bleibt unklar. Zwar verzichtet Reloaded weitgehend auf den philosophischen Rundumschlag des ersten Teils, dafür wird die Story viel komplizierter, und man weiss als Zuschauer bald nur noch, dass man nichts weiss. Ob dies an der eigenen Unfähigkeit liegt oder an logischen Fehlern im Drehbuch, oder ob ganz im Gegenteil bestimmte Rätsel gezielt gelegt wurden, um dann in Teil drei aufgelöst zu werden, bleibt vorerst unbeantwortet. Letzte Gewissheit wird erst The Matrix Revolutions im November bringen.
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