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Mani Matter – Warum syt dir so truurig? von Friedrich Kappeler

Endo Anaconda, der Frontmann der Dialektband Stiller Has, wurde kürzlich in
einem Radiointerview gefragt, was Mani Matter für ihn bedeute. Der ansonsten so wortgewandte Blueser verstummte angesichts dieser Frage
und stammelte nach einigem Winden: "Mani Matter, das ist der Titan." Mit diesem etwas unbeholfenen Satz hat Anaconda den Nagel auf den Kopf
getroffen, denn Matter, 1972 im Alter von 36 Jahren viel zu früh verstorben, war mehr als nur ein Liedermacher, dessen Neuerung darin
bestand, seine Lieder zur Abwechslung in Berner Mundart vorzutragen. Zwar wurde er dadurch zum eigentlichen Übervater der Schweizer
Rockmusik – ohne ihn würde die hiesige Musikszene heute anders aussehen –, doch liegt Matters Bedeutung vor allem darin, dass er mit
seiner Musik Generationen von Schweizern geprägt hat. Matter war und ist ein Volkskünstler im besten Sinn des Wortes. In einem
Land, das sonst den Föderalismus in extremis zelebriert, wirkt sein Werk wahrhaft regionen-, generationen- und schichtübergreifend: Man
singt Mani Matter-Lieder im Kindergarten und in der Primarschule und erfreut sich an den witzigen, so eingängig gereimten Geschichten. Mit dem Älterwerden erkennt man dann, dass diese
scheinbar so simplen Texte in Wirklichkeit äusserst filigrane, perfekt gearbeitete und dabei oft sehr feinsinnige
Wortkunstwerke sind. Mani Matter war nicht zuletzt einer der grössten Schweizer Lyriker des vergangenen Jahrhunderts.

Zum dreissigsten Todestag hat Friedrich Kappeler nun einen Dokumentarfilm über Matter gedreht. Scheinbar längst
fällig, und auf den ersten Blick auch eine sichere Sache, denn Matter lieben eben alle. Kaum ein Deutschschweizer, der keinen
emotionalen Bezug zum Werk des Berner Trubadours hat, der nicht ob seinem persönlichen Matter-Lieblingslied jedes mal aufs Neue zutiefst gerührt ist. Zudem bietet der
Film auch Gelegenheit für ein regelrechtes Schaulaufen der Schweizer Musik- und Cabaret-Prominenz. In Kappelers Film tritt fast
alles auf, was in diesem Bereich hierzulande Rang und Namen hat: Neben Matters Familie melden sich unter anderem Franz Hohler, Emil
Steinberger, Polo Hofer, Stephan Eicher und Kuno Lauener zu Wort, und der Schauspieler Ueli Jäggi liest einige von Matters Prosatexten.

Kappelers Film hat also scheinbar das perfekte Ausgangsmaterial; an was
liegt es dann, dass Warum syt dir so truurig? dennoch nicht so recht überzeugen kann?
Ein Grund ist wohl, dass der Film – und das ehrt den Regisseur im
Grunde – sich immer in respektvollem Abstand zu seinem Stoff bewegt.
Kappeler wühlt nicht in Matters Privatleben und bringt keine
neuen, vielleicht schockierenden Dinge ans Licht. Wir bleiben auf
Distanz und bekommen wenig vorgesetzt, was den Mythos Matter entzaubern
oder ihn auch nur in einem neuen Licht zeigen könnte. Das
heisst aber auch, dass wir als Zuschauer so gut wie nichts erfahren,
was nicht ohnehin schon Teil der Folkore ist. Einzig in Matters
Kindheit erhält man ein paar interessante Einblicke. Ansonsten
heisst es: in Züri West nichts Neues. Dass Matter Rechtskonsulent
der Stadt Bern war, ist ebensowenig eine Überraschung wie die
tragischen Umstände seines Todes.

Die grösste Schwäche des Films liegt aber paradoxerweise
gerade in der Musik. Zwar kann der Film hier kurzfristig punkten –
Matters Lieder sind nun mal einfach grossartig –, aufs Ganze gesehen
werden dadurch aber die filmischen Defizite von Kappelers Portrait
umso deutlicher sichtbar: Matter braucht ganz einfach keine visuelle
Untermalung. Seine Lieder sind in sich stimmig und perfekt, eine
Bebilderung ist da gänzlich überflüssig. Dem Film
gelingt nie eine echte Verschmelzung von Bild und Ton. Es
entsteht nichts, was über das hinausweisen würde, was wir
auch zu Hause kriegen, wenn wir uns Matter auf CD anhören. Die
meisten Song-Illustrationen sind belanglos, von einem Ausreizen des
Mediums Film, von einem kongenialem Zusammenspiel von Bild und Musik kann
leider keine Rede sein. Das heisst nun natürlich nicht, dass Warum syt dir so truurig? schlecht
oder langweilig wäre. Matters Zauber ist viel zu mächtig, als
dass wir ihm nicht auch dieses mal wieder verfallen würden. Auch
mir kamen bei Farbphoto,
meinem persönlichen Matter-Lieblingslied, einmal mehr die
Tränen. Doch das lag nicht an Kappelers Bildern, sondern einzig
und allein an Matters Texten. Eine Radiosendung wäre im Grunde die
viel adäquatere – wenn auch unspektalurärere – Form für ein solches Portrait.

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