Wir nehmen alles zurück und verkünden öffentlich: Quentin Tarantino ist doch der Grösste und die anfänglich Irritation über Kill Bill Vol. 1 ein Irrtum. Die selbsverliebte, die ganze Filmgeschichte plündernde Gewaltorgie, diese formvollendete cineastische Sinnlosigkeit erhält durch den zweiten Teil auf einmal – Sinn? Nein, darum ist es im Kino Tarantinos nie gegangen. Aber vielleicht Geschlossenheit, Form, Struktur, einen Abschluss. Auf einmal scheint klar, warum das alles so sein musste, wie’s war, und der Entscheid, den Film in zwei Teilen ins Kino zu bringen, entpuppt sich – wenn auch primär durch Profitstreben motiviert – als künstlerisch richtig.
Die Braut (Uma Thurman), deren richtigen Namen Beatrix wir im Verlaufe des zweiten Teils erfahren, ist noch immer auf ihrem Rachefeldzug. Wie in einem Computerspiel muss muss sie Gegner um Gegner aus dem Weg räumen, um am Schluss zum Oberbösewicht zu gelangen; jenem titelgebenden Bill (David Carradine), von dem wir im ersten Teil nur die Stimme gehört haben, der nun aber gleich zu Beginn ausführlich zu sehen ist. So wird der erste Teil scheinbar nahtlos fortgesetzt, und doch ist Vol. 2 ein Film mit einem ganz eigenen Rhythmus. Die hochenergetische Furioso-Action des ersten Teils fehlt. Keine Riesenmetzeleien, in denen die abgetrennten Gliedmassen gleich im Dutzend durch die Luft fliegen. Verlangsamung heisst die Devise, Entdramatisierung. Die Wortgefechte ersetzen den Schwertkampf.
Am Anfang des zweiten Teils steht eine Rückblende in Schwarzweiss, das Massaker, bei dem eine Kugel Beatrix ins Koma schickt. Es ist keine Hochzeit, die hier abrupt unterbrochen wird, sondern eine Hochzeitsprobe. Beatrix will einen farblosen Schallplattenhändler heiraten. Auf einmal taucht Bill, ihr ehemaliger Boss und Geliebter, auf. Ein Gangster der gebrochenen Gestalt, ein melancholischer Killer, der nicht zulassen kann, dass sich seine geliebte Beatrix, die tödlichste Frau der Welt, in spiessige Kleinbürgerlichkeit flüchtet. Bill erscheint als charismatische, fast sympathische Figur. Bereits in dieser Szene zeigt sich, wie effektvoll Tarantino die Zweiteilung seines Films einsetzt, denn als Zuschauer wissen wir ja bereits, wie diese Hochzeitsprobe enden wird, und je harmloser und zutraulicher sich Bill gibt, desto unheimlicher wirkt er auf den Zuschauer. Das ist von der Struktur ganz hitchcockscher Suspense, und doch ist die Szene nicht eigentlich spannend, sondern mehr traurig-schön. Die eigentliche Exekution der Hochzeitsgesellschaft ist dann gar nicht zu sehen, die Kamera hat sich – nach einem wunderschönen John-Ford-Zitat – bereits vom Schauplatz zurückgezogen. Mah hört nur noch die Schüsse und sieht vereinzelte Mündungsfeuer.
Dann sind wir wieder bei Beatrix und wohnen ihrer blutigen Rache bei. Als erster ist Budd, Bills Bruder, an der Reihe. Michael Madsen, der in Reservoir Dogs die unheimlichsten aller Tarantino-Figuren spielte, ist ein versoffener, übergewichtiger Rauswerfer in einer miesen Bar, der vom Chef zusammengestaucht wird und auch mal das Klo entstopfen muss. Die Warnung seines Bruders beeindruckt ihn nicht sonderlich, er kultiviert einen zynischen Stoizismus. „We all deserve to die for what we did to her. – But so does she.“ Die Jammergestalt Budd wird sich dann als schwerster Brocken auf dem blutigen Weg von Beatrix erweisen, um ein Haar muss sie hier ihr Leben lassen, buchstäblich sieht die Killerbraut hier bereits die Radieschen von unten.
Ein paar Leichen und eine weitere Rückblende – dieses mal zu Beatrix’ Kampfausbildung in China – später kommt es endlich zum grossen Finale: Beatrix trifft auf Bill. Doch folgt nun kein gigantischer Schlusskampf, kein Endlosschwertgefecht, sondern eine regelrechte Antiklimax. Beatrix wird erwartet von Bill und der gemeinsamen kleinen Tochter. Jubelnd empfängt das kleine Mädchen die lange vermisste Mutter, und Bill, ganz liebvoller Vater, sieht der Begegnung lächelnd zu. Die Familie ist vereint, Harmonie überall, alles ist in bester Ordnung. Was als gnadenloser Rachefeldzug begonnen hat, endet in einer Zelebrierung der Mutterliebe. Angesichts des kleinen Mädchens scheint der mütterliche Rachedurst erst recht sinnlos. Doch ganz so einfach haben es die Figuren in Tarantinos Cartoon- und Pulp-Universum dann doch nicht; jeder muss hier erst seine Bestimmung erfüllen. Bevor Mutter und Tochter sich vor dem Fernseher friedlich aneinanderkuscheln können, muss Bill weg. Rache ist stärker als family values. Das finale Duell zwischen den beiden Elternteilen ist kurz und findet im Sitzen statt. Dann ist der Film aus und die Braut endgültig zur Mutter geworden.
Es ist schon fast beängstigend, mit welcher Souveränität und Leichtigkeit Tarantino zwischen den verschiedenen Stilen hin- und herspringt. Da folgt Schwarzweiss auf Farbe, Splitscreen auf Westernpanorama, und dazwischen gibt’s einen kurzen Einschub in bester Bruce-Lee-Manier; komplett mit verwaschenen Farben, vielen Zooms und Rückprojektion. Die Filmgeschichte scheint für den Regisseur nur die Knetmasse zu sein, aus der er dann seine Filme formt. Man müsste das vollkommene Beliebigkeit nennen, wenn es nicht so unglaublich gut gemacht wäre.
Was das am Ende alles soll? Das weiss wahrscheinlich nicht einmal Tarantino selbst, und letztlich ist die Antwort auch ganz unwichtig. Kill Bill sagt nichts aus, hat keine Botschaft. Tarantino hat jegliche Form von Sinn oder Moral aus seinem zitatgesättigsten Filmuniversum, dessen einzige Referenz andere Filme sind, das überhaupt nichts mehr mit der Realität des Zuschauers zu tun hat, vertrieben. Und gerade dieser Schachzug lädt jeden Zuschauer dazu ein, sich seine eigene Interpretation zurechtzuzimmern.
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